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Sympathie mit den Lebenden

Predigt zu Hebräer 4, 14-16
Lukaskirche Leonding am 14.2.2016

Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis. Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.

Liebe Schwestern und Brüder,
für wen würden Sie sich mit voller Hingabe einsetzen? Für die große Liebe? Für ihre Tochter? Für ihren Sohn? Für Eltern, Partner, Freunde? Für Benachteiligte und Ausgegrenzte? Für Kollegen, Schüler, Lehrer, Vorgesetzte? Für Bekannte oder Fremde?

Für wen würden Sie sich mit voller Hingabe einsetzen? Mit all Ihrer Kraft, mit Ihrem Wissen und Können, mit ihrer Phantasie? Für wen würden Sie Nachteile in Kauf nehmen, ein Opfer bringen, vielleicht sogar Leiden auf sich nehmen?

Wahrscheinlich haben Sie sich diese Frage noch nie in dieser Form gestellt. Wahrscheinlich ist Ihnen aber sofort ein Name in den Sinn gekommen. Vielleicht hatten Sie auch gleich ein Gesicht vor Augen. Das Gesicht eines Menschen, für den Sie sich einsetzen würden, für den Sie Opfer bringen würden, der es auch wert wäre, für ihn zu leiden.

Jeder von uns braucht jemanden, der ihm im Leid beisteht, der einen begleitet durch die Tiefen und die Wechselfälle des Lebens. Manchmal brauchen wir jemanden, der an unsere Stelle tritt, der uns vertritt und für uns eintritt, wenn wir nicht selbst für uns eintreten, wenn wir nicht selbst für uns sorgen können.

Ich denke etwa an Menschen im Alter. Ein Mann hat mir einmal von seiner Mutter erzählt, die von Demenz betroffen war und dennoch alleine in ihrer Wohnung lebte. Sie fühlte sich in ihrer vertrauten Umgebung wohl, war auch alleine im Ort unterwegs, doch manchmal wusste sie plötzlich nicht, wo sie war und wo sie hin wollte. Dann war sie angewiesen darauf, dass Nachbarn oder Fremde ihr weiterhalfen, sie nach Hause begleiteten oder die Polizei verständigten.

Ich denke auch an Menschen mit schweren Erkrankungen, die aufgrund ihrer Beeinträchtigung nicht selbst über notwendige Behandlungen entscheiden können. Die Verantwortung und Vertretungsbefugnis liegt dann bei Angehörigen oder gerichtlich bestellten Sachwaltern. Diese entscheiden – nach bestem Wissen und Gewissen – im Sinne der Patienten.

Ein schweres Amt, eine schwere Aufgabe, die viel Verantwortung, aber auch viel Einfühlungsvermögen und Liebe zum Menschen benötigt. Ein schweres Amt, das aber wichtig ist, um die Würde des Menschen zu wahren und zu schützen.

Selbst ein Mörder, selbst ein Dieb braucht jemanden, der für ihn eintritt, der ihn vor Gericht vertritt und ihm zu einem fairen Prozess verhilft.

„Gott, sei mir Sünder gnädig!“, sprach der Zöllner im Tempel und schlug sich an die Brust. „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Sie erinnern sich an die Geschichte vom Zöllner und vom Pharisäer, die Lukas erzählt. Der Zöllner, als Prototyp des Sünders gezeichnet, bittet im Tempel um Gottes Gnade.

Der Tempel – für das Volk Israel Ort des Opfers, Ort der Versöhnung mit Gott. Am Versöhnungstag durfte nur der Hohepriester in das Allerheiligste, um für seine und des Volkes Sühne zu bitten.

„Das Opfer, das Jesus darbringt“, so Gerhard Rau, ist hingegen „sein eigenes Leben … Dieses Opfer wird von ihm nicht erst am Kreuz erbracht, sondern dadurch, dass er sich überhaupt aufgemacht hat ins Leben der Menschen hinein, dass er Mensch wurde, um seinen Brüdern ‚gleich zu werden‘. Die Passion Jesu wird also nicht auf Golgatha beschränkt, nein, sie umschließt als Mitleiden mit den Brüdern, mit uns Menschen, sein ganzes Leben, seine ganze Sendung.“

Passion. Mitleiden. Diese „Sympathie mit den Lebenden“, die uns Jesus vorlebt, ist für mich einer der Angelpunkte eines christlichen Lebens. Jesus wird für uns zum Lehrer des Mit-Leidens, der Passion für den Menschen, auch oder gerade im Leiden, auch oder gerade in schweren Zeiten.

Wolfgang Gerlach fragt: „Was heißt es, dass Jesus Mitgefühl (Sympathie) für unsere Schwächen hatte, ohne ihnen selbst zu erliegen, sie aber leidvoll und tödlich am eigenen Leibe erfahren hat?“ Als Antwort formuliert er ein Bekenntnis:

„Ich glaube an Gott mit Jesus von Nazareth, dem Sohn von jüdischen Eltern. In ihm wird wahr, was es heißt, ein Gotteskind zu sein und ein wahrhafter Mensch zu werden, der seinem Leben durch Gottes- und Menschenliebe Gestalt verleiht.

In seiner Nachfolge erkenne ich, wie er betete und wie er erzählte, wie er stritt und wie er heilte, wie er schwieg und wie er starb.

Er verbindet bis heute sein jüdisches Volk mit uns Christen, auch durch sein Glaubensbekenntnis und das seines Volkes: ‚Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein.‘“

„Der Herr ist unser Gott, der Herr allein.“ Vor diesem Gott vertritt uns Christus, unser Bruder. Bei diesem Gott tritt Christus für uns ein, hält uns eine Stelle frei, bittet für uns. Durch sein Leben und Sterben hat Jesus Christus das Opfer überwunden und uns zu wahren Söhnen und Töchtern Gottes gemacht.

„Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.“

Amen.

Published inPredigten

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