Predigt zu Römer 5, 1-5
Martin-Luther-Kirche Linz am 21.2.2016
Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.
Liebe Gemeinde,
„im Nordosten Brasiliens, am Rande einer staubigen Straße, haben Landarbeiter mit ihren Familien sich Hütten aufgebaut. Land besitzen sie keines, und doch dehnt es sich brachliegend auf beiden Seiten der Straße aus, soweit das Auge reicht. Es gehört ihnen nicht, und deshalb dürfen sie es auch nicht bebauen. Am Rande der Straße halten sie in ihrem Lager aus. Sie wollen erreichen, daß man ihnen ein Stück des Landes zur Bewirtschaftung überlässt. Der Kampf ist hart. Die Anfeindungen sind groß. Die Unterstützung ist noch zaghaft.
Als der Priester aus der nahegelegenen Ortschaft sie besucht, führen sie ihn zu einem großen Holzkreuz am Straßenrand, genau in der Mitte des Lagers. Ein junger Mann sagt: ‚Hier versammeln wir uns alle jeden Tag um fünf Uhr nachmittags. Wir halten Andacht und treffen gemeinsam alle Entscheidungen. Das Kreuz ist das Kreuz von uns allen – obwohl es sich leichter trägt als unser Leben. Sie sehen, dass es von verschiedenen Latten gestützt wird. Jede Latte trägt einen Namen – den Namen derjenigen, die uns unterstützen und helfen, das Kreuz zu tragen.'“
Das Leben kann schwer sein, liebe Gemeinde. Nicht nur in Brasilien, wie uns Wilhelm Gräb in seinem kurzen Bericht vermittelt hat, sondern auch in vielen anderen Teilen der Welt. Auch bei uns, auch in Österreich, auch in Linz gibt es Menschen, die vor allem die Schattenseiten des Lebens kennen, wie ein Blick in die Obdachlosenzeitung „Kupfermuckn“ zeigt. In der aktuellen Ausgabe schreibt ein Herr mit Namen Helmut:
„Ich bin jetzt 56 Jahre alt und meinem Körper geht es immer schlechter. Als Lehrling habe ich jede Woche hundert Kilo Schrauben in den ersten Stock getragen. Auch beim Fußballtraining gehörte ich zu den Guten. Im Gastgewerbe war mir kein Tablett zu schwer. Doch heute ist es auf einmal aus. Meine Kräfte haben mich verlassen. Die Lunge ist durch COPD geschädigt. Die Hüften sind um einen Zentimeter verschoben, und mit den täglichen Kreuzschmerzen zeigt mir mein Körper, dass er genug hat.
Ich nehme jeden Tag viele Tabletten, um schmerzfrei über den Tag zu kommen. Ich muss oft zu meinem Arzt, und der hat zu mir schon gesagt, ich soll um die Invaliditäts-Pension ansuchen, was ich auch tun werde. Ich dürfte auch nicht mehr rauchen, aber nach 40 Jahren ist das Aufhören schwer. Ich wurde jetzt trotz all meiner körperlichen Gebrechen das dritte Mal bei der Pension abgelehnt, weil ich kein Invalide bin.“
Das Leben kann schwer sein, liebe Gemeinde. Nicht nur in Brasilien, nicht nur als obdachloser, kranker Mensch. Auch für Sie, auch für mich, für jeden von uns. Krankheit, Arbeitslosigkeit, Einsamkeit, Angst vor Leere und Sinnlosigkeit – es gibt viele Gründe, warum wir das Leben als schwer und belastend empfinden können.
Wie zynisch klingt es da, wenn Paulus schreibt: „Wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden.“ Wie viele Menschen in schwierigen Situationen haben nicht die Geduld, rühmen sich nicht der Bedrängnisse, verlieren alle Hoffnung – und wir können es nur allzu gut verstehen. Selbst Luther sagte von sich nach einer schweren Krisen- und Krankheitserfahrung: „Fast der ganze Christus war weg.“ Wie verständlich ist es doch, dass Lebenskrisen den Glauben erschüttern und infrage stellen.
Und – was ist das überhaupt, der „Glaube“? „Glauben heißt annehmen, dass ich angenommen bin“, so formuliert es Paul Tillich. Angenommen von Gott, angenommen von unseren Mitmenschen, angenommen von unserem Bruder Jesus Christus. „Glauben heißt annehmen, dass ich angenommen bin.“
Die Erfahrung des Angenommen-Seins gehört wohl zu den Grunderfahrungen eines jeden Menschen. Das Urvertrauen, das wir in der frühen Kindheit entwickeln, trägt uns ein ganzes Leben, macht erst möglich, dass wir vertrauen und auch andere annehmen können. Erfahrungen des Angenommen-Seins machen wir in der Begegnung mit anderen Menschen. Leider wird unser Vertrauen, wird unser Wunsch angenommen und akzeptiert zu sein immer wieder enttäuscht. Unser Glaube daran, angenommen zu sein, wird immer wieder einer Prüfung unterzogen.
Karl Barth schreibt in seinem Kommentar zum Römerbrief: „Geglaubt, geglaubt an die Erlösung wird nicht in irgendeiner Erlöstheit, in irgendeiner vorwegnehmenden Sicherheit, Gelassenheit, Harmlosigkeit und Heiterkeit, sondern mitten im Gewühl, mitten in der den Menschen bis aufs Innerste berührenden Verwirrung der unerlösten Welt.“
Entspricht das nicht unserer Erfahrung, dass wir uns, dass wir unseren Glauben in der „Verwirrung der unerlösten Welt“ bewähren müssen? Begegnen uns nicht auch Menschen, die gerade in Bedrängnis, die gerade in der Verwirrung der Welt von dem getragen werden, was wir „Glauben“ nennen?
„Glauben heißt annehmen, dass ich angenommen bin.“ Wie ist das möglich, wenn wir immer wieder die Erfahrung machen, abgewiesen, geringgeschätzt, zurückgewiesen zu werden? Wie ist das möglich für Menschen, die krank, arbeitslos, einsam sind und die mit all ihren Problemen allein gelassen werden?
„In Jesus steht Gott auf der Seite der Leidenden“, so Karl Foitzik, und weiter: „Im Vertrauen darauf wächst aus durchlebtem Leid Geduld, aus Geduld Bewährung und aus Bewährung Hoffnung – eine innere Stärke, die zum ‚Dennoch‘ des Glaubens und zum Tun des Gerechten befähigt.“
Im Christentum haben wir also in der Person Jesu einen Begleiter, einen Fürsprecher und Stellvertreter, einen Bruder und Freund, den wir an unserer Seite wissen. Im Christentum haben wir also in Jesus Christus einen Helfer, der uns zum „Dennoch des Glaubens“ verlockt.
Ich bin krank, dennoch glaube ich, dass ich angenommen, dass ich geliebt bin. Ich bin einsam, dennoch kann ich annehmen, dass ich angenommen bin. Ich bin arbeitslos, dennoch vertraue ich darauf, dass ich ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft, der Gemeinde bin.
Glaube in dieser Weise verstanden ist Widerspruch. Widerspruch gegen die tödliche Gleichgültigkeit, Widerspruch gegen das Diktat der Gesundheit und Leidfreiheit, Widerspruch gegen Augrenzung und Isolation.
„Glauben heißt annehmen, dass ich angenommen bin.“ Nicht meine Leistung ist ausschlaggebend, auch nicht meine moralische Integrität. Angenommen bin ich allein aus Gnade, gerecht geworden durch den Glauben. In Jesus Christus haben wir die Tür, die uns offen steht zur Gnade und zum Frieden Gottes.
Doch Jesus lehrt uns noch etwas anderes. Durch sein Handeln und sein Reden hat er uns ein Beispiel gegeben dafür, dass wir als Menschen aufeinander angewiesen, dass wir als Menschen füreinander da sind.
Wie die Landarbeiter in Brasilien einander unterstützen und an der Veränderung einer tödlichen Realität arbeiten, so können, so sollen auch wir füreinander da sein und an einer Veränderung der Zustände in unserer Gesellschaft arbeiten.
„Das Kreuz ist das Kreuz von uns allen – obwohl es sich leichter trägt als unser Leben.“
Hören wir auf die Botschaft und tragen wir das Kreuz gemeinsam. Dann kommen wir dem christlichen Glauben ein Stück näher, der da heißt: „Glauben heißt annehmen, dass ich angenommen bin.“
Amen.
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