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Auferstehung mitten am Tag

Predigt zu Johannes 20, 11 – 18
Toleranzkirche Scharten am 27.3.2016
Martin-Luther-Kirche Linz am 28.3.2016

Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, schaute sie in das Grab und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten. Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen. Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister! Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.

Liebe Gemeinde,
ich kann Maria verstehen in ihrer Verzweiflung. Eine ganze Welt ist für sie zusammengebrochen mit dem Tode Jesu. Ihr Lehrer, ihr Herr und Meister ist gestorben, wurde begraben.  Eine ganze Welt ist für sie zusammengebrochen. Alle Hoffnungen, alle Zuversicht sind mit Jesus gestorben. Alle Hoffnungen, alle Zuversicht wurden mit ihm begraben. Alles, woran Maria und die anderen Jüngerinnen und Jünger geglaubt haben, scheint zu Ende zu sein. Alles, was Jesus verkündigt, alles was Jesus versprochen hat – war das alles etwa nur eine Illusion, nur ein Irrglaube?

Ich kann Maria verstehen in ihrer Verzweiflung. Und jetzt ist auch noch das Grab leer und Jesu Leichnam ist verschwunden. Was soll sie da anderes tun als weinen und verzweifeln?

Kennen wir nicht auch solche Situationen, in denen alles ausweglos erscheint, in denen unsere Hoffnungen und Träume scheinbar zu Staub zerfallen, uns zwischen den Fingern zerrinnen? Der Verlust eines geliebten Menschen, ein schwerer Schicksalsschlag, eine große Enttäuschung. Und wie lange hängen wir dann dem Vergangenen nach, trauern, weinen, sind verzweifelt!

Ich kann Maria verstehen in ihrer Verzweiflung, in ihrer Trauer und Mutlosigkeit. Selbst als sie Jesus begegnet, ändert das nichts. Zu sehr ist sie noch gefangen im Vergangenen, in der Hoffnung, alles werde wieder wie früher. Zu sehr hängt sie dem Verlorenen nach, dem, den sie lieb gewonnen hat zu seinen Lebzeiten.

Und als sie ihm begegnet, erkennt sie ihn nicht. „Sie meint, es sei der Gärtner“. Sie sucht einen Leichnam und findet ihn nicht. Sie findet Jesus und will es, und kann es nicht wahrhaben.
Blind vor Trauer, blind vor Verzweiflung hält sie ihren Blick rückwärts gewandt, glaubt nicht an eine Zukunft, schon gar nicht an eine gute. Wäre es uns an ihrer Stelle nicht genauso ergangen?

Und Jesus spricht: „Maria!“ Und Maria erkennt ihn, dreht sich um und spricht „Rabbuni!“, das heißt „Meister“. Jesus ist zurück. Jetzt wird alles wieder gut, jetzt wird alles wieder, wie es früher war. – „Rückkehr in die Vergangenheit“, so Rainer Stuhlmann, „… ist die illusionäre Erwartung Marias. Sie wünscht sich, daß die schmerzvolle Trennung durch den Tod rückgängig gemacht werde, statt – durchlebt und durchlitten – reif zu machen für ’neues Leben’“. Maria will zurück, sie will festhalten, was war, sie will Jesus festhalten, ihren Herrn und Meister. Können wir ihr das verdenken?

Jesus aber spricht: „Halte mich nicht fest!“ Er entzieht sich der Berührung, er lässt sich nicht festhalten. Nichts wird so, wie es früher war, im Gegenteil: Jesus schickt Maria in die Welt und gibt ihr einen Auftrag: „Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“ Jesus sendet Maria in die Welt. Und Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.

„Nicht der Tote ist ins Leben … zurückgekehrt, sondern sie, die Trauernde“, so Rainer Stuhlmann. Oder, mit den Worten Jürgen Dembeks: „Maria wird frei, den Auferstandenen loszulassen, und indem sie ihn losläßt, wird sie mündig; … Maria wird zur mündigen Schwester Jesu; ihr Meister wird zum Bruder.“

Welche befreienden Erfahrungen machen wir eigentlich in unserem Leben? Was sind unsere Ostererfahrungen? Vielleicht haben Sie schon erlebt, dass Sie oder ein Ihnen lieber Mensch aus schwerer Krankheit gesund geworden ist. Vielleicht haben Sie schon erlebt, dass Sie um Haaresbreite einem Unglück entgangen sind. Vielleicht haben Sie schon erlebt, dass eine Hoffnung, die Sie schon begraben glaubten, doch noch erfüllt wurde. Immer wieder machen wir – Gott sei Dank – Erfahrungen, die wir als befreiend, die wir als beglückend erleben, kleine Auferstehungen im Leben. Marie-Luise Kaschnitz hat diese Erfahrung der „Auferstehung mitten am Tag“ in einem Gedicht formuliert:

Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut
Nur das Gewohnte ist um uns
Keine Fata Morgana von Palmen
Mit weidenden Löwen
Und sanften Wölfen
Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus
Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvoller Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht

„Vorweggenommen in ein Haus aus Licht“ – noch am Leben, aber schon erlöst zu einem Leben im Geiste Jesu, schon erlöst zu einem Leben in der Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern.

„Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“ Mit diesem Satz begründet der Auferstandene ein ganz neues Verhältnis. Aus Jüngerinnen und Jüngern  werden Schwestern und Brüder, werden Geschwister, Kinder des einen Gottes, den Jesus Vater nannte.

Die Begegnung mit dem Auferstandenen befreit Maria, befreit uns Christinnen und Christen zu einer neuen Gemeinschaft mit Gott und untereinander. In dieser neuen Gemeinschaft sind wir gefordert aufzustehen, wir sind gesandt in die Welt zu gehen, wie Maria, wie die Jüngerinnen und Jünger. Die Begegnung mit dem Auferstandenen ermutigt uns aufzustehen und das Leben zu führen, das Jesus, das Gott für uns gemeint hat.

„Was Jesus wollte“, so Ernst Fuchs, „ist an Ostern erreicht. Was wollte Jesus? Jesus wollte ohne Zweifel Gemeinde. Also den rechten Gottesdienst, die Gemeinschaft ohne Sanktionen.“ Eine „Gemeinschaft ohne Sanktionen“ – klingt das nicht weltfremd in unseren Ohren? Aber bedeuten Jesu Worte nicht gerade das, wenn er sagt: „Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe. Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.“ (Joh 15, 12f.)

Was wir Jesus zu verdanken haben, ist mit dem Tod am Kreuz nicht obsolet geworden. Was wir Jesus zu verdanken haben, wirkt seit der Sendung der Maria weiter im Glauben und im Leben der christlichen Gemeinde. Gerade zu Ostern sollten wir uns daran erinnern, was wir Jesus zu verdanken haben:

Die Erkenntnis, dass man mit fünf Broten und zwei Fischen Tausende das Teilen lehren kann, denn es ist genug für alle da!
Die Einsicht, dass menschliche Nähe heilsam wirkt und Menschen befreien kann von Vereinsamung und Ausgrenzung.
Die Hoffnung, dass die Herrschaft der einen über die anderen ein Ende hat, weil wir lernen einander in Liebe zu dienen.
Der Glaube, dass wir als Brüder und Schwestern Christi, dass wir als Kinder Gottes angenommen sind – voneinander und von Gott.

Diesen Glauben durfte auch Maria von Magdala wieder gewinnen, in der Begegnung mit dem Auferstandenen. Ihre Trauer und ihre Angst wurden durch die Begegnung mit Jesus verwandelt in neuen Mut und neue Zuversicht. „Trauer und Angst drücken nieder, Auferstehung bedeutet aufstehen, aufgerichtet werden und nach vorne gehen.“ (Michael Klessmann)

Dass Auferstehung kein rein zukünftiges Geschehen ist, sondern immer wieder mitten in unserem Leben stattfindet, drückt für mich ein Gedicht von Luzia Sutter Rehmann aus:

Wir sind auf der Suche
nach der Kraft,
die uns aus den Häusern,
aus den zu engen Schuhen
und aus den Gräbern treibt.
Aufstehen und
mich dem Leben in die Arme werfen –
nicht erst am jüngsten Tag,
nicht erst, wenn es nichts mehr kostet
und niemandem mehr weh tut.
Sich ausstrecken nach allem,
was noch aussteht,
und nicht nur nach dem Zugebilligten.
Uns erwartet das Leben.
Wann, wenn nicht jetzt?

Amen.

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