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König ohne Macht

Predigt zu Matthäus 11,2-10 am 15.12.2024 in der Reformierten Kirche Leonding.

2 Johannes saß im Gefängnis. Dort hörte er von den Taten des Christus. Deshalb schickte er seine Jünger zu Jesus 3 und ließ ihn fragen: »Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?«

4 Jesus antwortete ihnen: »Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: 5 ›Blinde sehen und Lahme gehen. Menschen mit Aussatz werden rein. Taube hören, Tote werden zum Leben erweckt, und Armen wird die Gute Nachricht verkündet.‹ 6 Glückselig ist, wer mich nicht ablehnt.«

7 Die Jünger von Johannes gingen wieder zurück. Jesus begann, zu der Volksmenge über Johannes zu sprechen: »Was habt ihr erwartet zu sehen, als ihr zu Johannes in die Wüste gegangen seid? Etwa ein Schilfrohr, das sich im Wind bewegt? 8 Oder was sonst habt ihr erwartet, dort draußen zu sehen? Einen Menschen in vornehmer Kleidung? Ihr wisst doch: Leute in vornehmer Kleidung wohnen in Palästen!

9 Oder was sonst habt ihr erwartet zu sehen? Einen Propheten? Ja, ich sage euch: Ihr habt sogar mehr gesehen als einen Propheten! 10 Johannes ist derjenige, von dem es in der Heiligen Schrift heißt: ›Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her. Der wird dir den Weg bereiten.‹

[Übersetzung: Basis Bibel]

Liebe Gemeinde,
eigentlich warten wir ja immer auf irgendetwas oder irgendjemanden. Auf den Bus oder den Zug. Auf die Ankunft eines lieben Menschen. Auf den Frühling oder den Sommer. Auf ruhigere oder bessere Zeiten.

Unser Leben ist – genau besehen – eine Abfolge von Hoffnungen, Sehnsüchten, Befürchtungen, die sich manchmal in aktivem Tun, oftmals aber auch in Warten ausdrücken. Einiges erwarten wir mit Spannung und Vorfreude, anderes ängstigt uns
und macht das Warten zu einer Qual.

Überlegen Sie doch einmal für einen Moment, worauf Sie gerade warten. Warten sie auf etwas, das Ihnen Sorge bereitet? Warten Sie auf etwas Freudiges, Schönes? Warten Sie überhaupt?

Warten ist etwas grundlegend Menschliches. Im Warten drückt sich unsere Zeitlichkeit, ja unsere Endlichkeit aus. Wir Menschen sind historische Wesen. Wir werden geboren, leben in einer Zeit, die wir uns nicht ausgesucht haben, und wissen, dass wir eines Tages sterben müssen.

Warten ist etwas grundlegend Menschliches. Wenn wir etwas nicht beeinflussen können, dann warten und hoffen wir, dass es sich zum Guten wendet. Wenn wir mit denen, die unsere Geschicke lenken, nicht zufrieden sind, dann warten wir auf einen, der es richten wird. Einen Helden, eine Erlöserfigur, einen Menschen, der stellvertretend für uns all das Gute umsetzen soll, das wir nicht vermögen.

Meistens geht das schief, wie uns die Wahlergebnisse rund um den Globus immer wieder zeigen. Oft kochen die vermeintlichen Helden auch nur mit Wasser. Immer öfter entpuppt sich ein scheinbarer Heiland als Scharlatan, der Gutes verspricht, um dann mit der gewonnenen Macht doch nur Eigennütziges umzusetzen.

Mit dieser Ambivalenz müssen wir leben – in einer Welt, die ganz und gar nicht gut ist, wo Krieg, Armut und die Zerstörung unserer Lebensgrundlage voranschreiten, wo Gesellschaften gespalten werden in arm und reich, ohnmächtig und mächtig, unten und oben, und wo unsere Möglichkeiten zur Mitgestaltung begrenzt sind, allzu begrenzt.

Mit dieser Ambivalenz müssen wir leben. Wäre es da nicht schön, es käme einer, der alles zum Guten wendet? Einer, der Schluss macht mit der Trennung, Zersplitterung, Zerstörung in dieser Welt? Einer, der aufbaut, vereint, Mut macht, ja erlöst? Ich kann diese Hoffnung verstehen.

Auch Johannes der Täufer hat seine Hoffnung auf einen gesetzt, der da kommen sollte.
Aber er war sich nicht sicher, ob dieser Jesus der Christus, der Gesalbte, der Messias sei. Deshalb schickte er seine Jünger zu Jesus und ließ ihn fragen: »Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?«

Johannes der Bußprediger war sich nicht sicher. Er wartete auf einen, der Gericht halten sollte über die Bosheit der Menschen. Gott, so war seine Erwartung, würde die Frevler im Feuer verbrennen. Darum predigte er Buße und Umkehr. Daher taufte er seine Jünger im Jordan. Auch Jesus hatte er getauft.

Vielleicht sollten wir uns an Johannes ein Beispiel nehmen. Nicht an seiner Strenge und seinen Gerichtsfantasien, aber an seiner grundlegenden Skepsis gegenüber einem vermeintlichen Messias. Vielleicht sollten wir auch öfter nachfragen und überprüfen, ob die Personen, auf die wir unsere Hoffnung setzen, diese auch einlösen können und wollen – oder ob sie doch nur tarnen und täuschen wie ein Scharlatan.

Betrachten wir doch Politiker, Unternehmer und Wirtschaftslenker mit einem kritischen Blick, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Begegnen wir doch Menschen, die wir bewundern, auch einmal mit der nötigen Portion Skepsis und hinterfragen wir ihre Motive, ihre Handlungen und Ziele.

Johannes jedenfalls hat selbst den Messias hinterfragt, Jesus, den Christus. »Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?«

Und Jesus macht sich darüber nicht lustig, auch wenn er die Erwartung des Johannes nicht erfüllen will. Vielmehr hinterfragt er die Erwartungen der Menschen, die zu Johannes gepilgert sind: »Was habt ihr erwartet zu sehen, als ihr zu Johannes in die Wüste gegangen seid? Etwa ein Schilfrohr, das sich im Wind bewegt? Oder was sonst habt ihr erwartet, dort draußen zu sehen? Einen Menschen in vornehmer Kleidung? Ihr wisst doch: Leute in vornehmer Kleidung wohnen in Palästen!«

Ein Schilfrohr dreht sich nach dem Wind, beugt sich vor den Mächtigen, hat die nötige Flexibilität eines Mitläufers. Ein solcher erfreut sich an weicher, vornehmer Kleidung, wie ein König, ein Filmstar, ein schicker Politiker. Aber zählt das?

Johannes, den Jesus ausdrücklich als Propheten würdigt, als den, der dem Messias den Weg bereitet, war ganz anders. Er führte ein betont asketisches Leben und soll sich von Heuschrecken und wildem Honig ernährt haben.

Und obwohl Jesus dem Johannes ausrichten lässt, dass er der Messias sei, enttäuscht er auch seine Erwartungen. Jesus kommt nicht als mächtiger, dreinfahrender König. Jesus hält nicht Gericht über die Sünder und Frevler. Jesus bringt nicht das verzehrende Feuer.
Ja, „auch Jesus ruft die Menschen zur Umkehr, redet von Wahrheit und Lüge. Auch Jesus redet vom Gericht und dass wir Menschen unser Leben vor Gott verantworten müssen. Auch Jesus sagt nicht nur „selig sind“, sondern auch „wehe euch“. Und doch tut er es anders als Johannes, ganz anders sogar“. (Pfarrer Achim Bellmann)

Wie, das zeigt sich in den sechs Zeichen des Messias, die Jesus den Jüngern des Johannes mit auf den Weg gibt: »Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: ›Blinde sehen und Lahme gehen. Menschen mit Aussatz werden rein. Taube hören, Tote werden zum Leben erweckt, und Armen wird die Gute Nachricht verkündet.‹«

In der Hinwendung zum Menschen verwirklicht Jesus Gottes Gerechtigkeit. In der Hinwendung Jesu zum Menschen wird deutlich, was Gott von uns erwartet und wo wir dem nicht entsprechen, was von uns in ethischer Hinsicht erwartet wird. Anders ausgedrückt: in der Hinwendung Jesu zum Menschen – zu Randfiguren, Kranken, Ausgegrenzten, Sündern und Frevlern – wird sichtbar, wie Gott uns gemeint hat: als liebende Wesen, die im anderen die Schwester, den Bruder, das Antlitz Christi wahrnehmen und dementsprechend handeln.

An dieser tätigen Liebe dürfen wir uns orientieren. Diese tätige Liebe dürfen wir nachahmen, ihr dürfen wir nacheifern in unserem Handeln. Diese tätige Liebe dürfen wir auch als Maßstab nehmen für die Beurteilung echter oder scheinbarer Helden und Erlöserfiguren: Was hast du den geringsten unserer Brüder und Schwestern getan? Hast du geheilt, einbezogen, verziehen und Wege geöffnet für alle Menschen? Oder hast du nur auf deinen eigenen Vorteil, auf deine eigene Macht geachtet?

Jesus kommt ohne Macht, aber er kommt nicht ohnmächtig. Jesus kommt bescheiden, aber selbstbewusst. Jesus kommt nicht in vornehmer Kleidung, aber mit einem edlen Geschenk im Gepäck: In seinem Handeln verwirklicht sich die göttliche Liebe, die Zuwendung Gottes zu allen Geschöpfen.

Darum ist Jesus der Heiland, der Messias, der Christus – nicht nur, weil er uns Vorbild ist in unserem täglichen Leben, Vorbild der tätigen Liebe, sondern weil seine göttliche Liebe auch uns umhüllt, wenn wir krank sind, einsam, ausgegrenzt, arm oder innerlich tot. Dann dürfen wir darauf hoffen, das einer kommt – oder eine -, die uns erlöst.

Das musste auch Johannes lernen, Johannes, der auf einen gehofft hatte, der durchgreift und richtet und bestraft. Der Messias kommt aber nicht mit Feuer und Schwert, sondern mit dem Feuer der göttlichen Liebe.

›Blinde sehen und Lahme gehen. Menschen mit Aussatz werden rein. Taube hören, Tote werden zum Leben erweckt, und Armen wird die Gute Nachricht verkündet‹, ließ Jesus ihm ausrichten.

Achten auch wir auf diese Zeichen. Wagen auch wir die tätige Liebe. Und lassen wir uns verwandeln von dem, der da kommt im Auftrag Gottes, denn er ist der Heiland, der Messias, der Christus.

Amen.

Published inPredigten

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