Predigt zu Epheser 2, 4-10
Martin-Luther-Kirche Linz
Lukaskirche Leonding
7. August 2016
Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr selig geworden -; und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus. Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.
Liebe Gemeinde,
lassen Sie mich zwei Geschichten erzählen. Zwei Geschichten, die ich frei erfunden habe, die sich aber genau so oder auf ähnlich Weise zugetragen haben könnten.
Geschichte 1:
Eine Frau, nennen wir sie Eva, ist erfüllt vom Pflichtgefühl ihren Mitmenschen gegenüber. Am Arbeitsplatz bemüht sie sich, alle Anforderungen zu erfüllen und ihre Aufgaben sorgfältig zu erledigen. Ihren Kolleginnen und Kollegen gegenüber ist sie hilfsbereit, zuvorkommend, loyal. Kurz und gut: Eva ist eine vorbildliche Mitarbeiterin, eine Kollegin, wie man sie sich nur wünschen kann. Auch zu Hause erfüllt sie ihre Pflichten: Sie kümmert sich um den Haushalt, umsorgt ihre Kinder, bemüht sich, ihrem Mann eine gute Partnerin und Ehefrau zu sein. Ihre Mutter, die alleine lebt, besucht sie regelmäßig und hilft ihr, wo sie kann. Im Freundeskreis ist Eva eine verlässliche Partnerin bei allen Aktivitäten. Sie ist eine gute Gastgeberin und immer zur Stelle, wenn es einer Freundin oder einem Freund gerade einmal nicht so gut geht. Nur manchmal, wenn es ihr selber mies geht, fühlt sie sich einsam und verlassen. Sie fragt sich dann, wo alle ihre Freunde und Familienmitglieder sind, und ob sich „das alles“ überhaupt lohnt.
Geschichte 2:
Ein Mann, nennen wir ihn Adam, ist beflügelt von der Idee, sich selbst zu verwirklichen. Er ist überzeugt von seinem kreativen Potential und versucht, immer neue Ideen zu verwirklichen. Im Job ist er die treibende Kraft für neue Projekte und will seinen Willen durchsetzen. Gelingt ihm das nicht, verliert er rasch die Lust und wendet sich neuen Themen zu. Sein Freundeskreis ist klein, Adam ist Individualist. Zwar kennt er viele Leute, doch nur wenige teilen seine außergewöhnlichen Interessen. Immer wieder ist er auf der Suche nach neuen Herausforderungen, seine Freizeitaktivitäten sind anspruchsvoll: Extremsport, Reisen, Fotografie, Schreiben, Malen … Adam hat schon vieles ausprobiert, hat auf vielfältige Weise versucht, seine Einzigartigkeit zu leben. Und doch: Immer wieder hat er das Gefühl, noch nicht angekommen zu sein, noch nicht er selbst zu sein, noch nicht den richtigen Weg gefunden zu haben. Wann wird er endlich in sich ruhen?
Eva und Adam – zwei Geschichten von Zeitgenossen, von Menschen unserer heutigen Lebenswelt. Geht es Ihnen, geht es uns nicht auch manchmal ähnlich? Haben Sie, haben wir nicht auch manchmal das Gefühl, dass unser Leben nicht so befriedigend verläuft, wie wir uns das wünschen?
„Das Leben ist ein zu großes Kleid. Man bekommt es geschenkt, und stirbt, bevor man hineingewachsen ist“, so Elisabeth Hölscher. Ist Ihr Leben, ist unser Leben auch dieses zu große Kleid, das manchmal schlabbert, über dessen zu lange Stoffbahnen wir manchmal stolpern, in dem wir immer wieder auch frieren oder uns verlieren?
Ich denke, Menschen haben sich zu allen Zeiten in der Welt nicht nur heimisch und behaglich gefühlt, sondern auch fremd, unverstanden, ziellos, verwundbar, verzweifelt. Ich denke, Menschen waren zu allen Zeiten von unterschiedlichen Wünschen und Zielen angetrieben, haben auf unterschiedliche Weise versucht, mit den Herausforderungen und Schwierigkeiten des Lebens zurecht zu kommen. Vielleicht ist es aber eine Besonderheit unserer Zeit, dass wir so oft versuchen, das Glück durch Leistung oder durch Selbstverwirklichung und Selbstoptimierung zu finden.
Die Menschen in den frühen christlichen Gemeinden haben die Erfahrung gemacht, dass eine ganze Reihe trennender und lebensfeindlicher gesellschaftlicher Bedingungen außer Kraft gesetzt wurde. Die Gemeinden waren unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Besitz, Status oder Bildung offen für alle, die sich von Christus eingeladen fühlten, für alle, die ihm und seiner Botschaft verbunden waren. Das neue Leben in der christlichen Gemeinde wurde nicht als eigene Leistung angesehen, sondern als etwas von Gott Empfangenes – aus Erbarmen, aus Liebe, aus Gnade. (Gerald Kretzschmar)
Barmherzigkeit, Liebe und Gnade sind große Worte – aber können wir heute noch etwas mit diesen zentralen christlichen Begriffen anfangen? Sind Barmherzigkeit, Liebe und Gnade in unseren Gemeinden noch zu spüren? „Gnade gehört zur Präsenz Gottes, vielleicht ist sie die Gegenwart Gottes selbst“, so Elisabeth Hölscher, und sie fragt: „Was könnte es heißen, faktisch, ganz banal, weder realitätsfremd, noch irrational oder antirational Christus als Wirklichkeit zu verstehen?“
Und sie antwortet: „Seine Lehre, seine Deutung der Wirklichkeit, seine Gottessicht interessant, bedeutungsvoll finden. Die Wirklichkeit, für die er als Symbol steht, selbst erleben und erfahren. Wissen, dass alles, was ich bin und was mich umgibt, Gott ist, aus dessen Wirklichkeit und Lebendigkeit ich nicht herausfallen kann, sondern woran ich immer Teil bleibe.“
Konkret bedeutet das dann vielleicht: Das Leben als ein Geschenk erfahren, nicht als etwas, was ich mir verdienen muss. Mich selbst als wertvoll begreifen in meiner Unvollkommenheit und Unfertigkeit, nicht als jemanden, der erst gestaltet, der erst optimiert werden muss. Der Epheserbrief drückt das in unserem heutigen Predigttext so aus: „Denn aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet, nicht aus eigener Kraft – Gott hat es geschenkt.“
Unsere christlichen Gemeinden sind dann die Orte, an denen diese Erfahrung lebendig werden darf. Die Erfahrung des Angenommen-Seins. Die Erfahrung der Gemeinschaft in Verschiedenheit. Unsere Gemeinden sind unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Besitz, Status oder Bildung offen für alle, die sich von Christus eingeladen fühlen, für alle, die ihm und seiner Botschaft verbunden sind. Das neue Leben in der christlichen Gemeinde begreifen wir nicht als eigene Leistung, sondern als etwas von Gott Empfangenes – aus Barmherzigkeit, aus Liebe, aus Gnade.
Wie steht es aber dann um Leistung, Selbstverwirklichung und Entwicklung? Sind die Bestrebungen des modernen Menschen, sind die Lebenskonzepte von Eva und Adam überhaupt mit christlichem Leben und Glauben vereinbar? Oder anders gefragt: Darf Eva eine tüchtige Kollegin, eine fürsorgliche Hausfrau und Mutter, eine gute Freundin sein? Darf Adam sich in dem Verwirklichen, was er tut, darf er auch Spuren seines Wirkens in dieser Welt hinterlassen?
Theologisch steht dahinter die Frage nach den Werken und ihrer Bedeutung. Der Epheserbrief dreht diese Frage nach den guten Werken um, indem er sagt: „Wir sind ganz und gar Gottes Werk. Durch Jesus Christus hat er uns so geschaffen, dass wir nun Gutes tun können. Er hat uns sogar unsere guten Taten im Voraus geschaffen, damit sie nun in unserem Leben Wirklichkeit werden.“
Barmherzigkeit, Liebe und Gnade sind also die Faktoren, die uns zum Handeln, die uns zu guten Werken befähigen. Vielleicht können sie auch das Leben von Eva und Adam verändern.
Stellen Sie sich nun vor, dass über Nacht ein Wunder geschehen ist und Eva und Adam plötzlich zufrieden sind. Woran können Sie merken, dass Eva, dass Adam, dass auch Ihre Nächsten zufrieden sind? Öffnen Sie die Augen, hören Sie zu und hören Sie auch in sich selbst hinein.
Amen.
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