Predigt zu Lukas 17, 20-25
Lukaskirche Leonding
6. November 2016
Als Jesus von den Pharisäern gefragt wurde, wann das Reich Gottes komme, antwortete er: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es an äußeren Zeichen erkennen könnte. Man kann auch nicht sagen: Seht, hier ist es!, oder: Dort ist es! Denn: Das Reich Gottes ist mitten unter euch. Er sagte zu den Jüngern: Es wird eine Zeit kommen, in der ihr euch danach sehnt, auch nur einen von den Tagen des Menschensohnes zu erleben; aber ihr werdet ihn nicht erleben. Und wenn man zu euch sagt: Dort ist er! Hier ist er!, so geht nicht hin und lauft nicht hinterher! Denn wie der Blitz von einem Ende des Himmels bis zum andern leuchtet, so wird der Menschensohn an seinem Tag erscheinen. Vorher aber muss er vieles erleiden und von dieser Generation verworfen werden.
Liebe Schwestern und Brüder in Christus,
hat Ihnen, hat euch schon einmal jemand das Blaue vom Himmel versprochen? Glück und Zufriedenheit, einen Lottogewinn, den besten Job aller Zeiten, Gesundheit, Friede, Freude, Eierkuchen … ? Ich vermute, dass zumindest jede und jeder von uns schon einmal mit dem einen oder anderen kaum erfüllbaren Wunsch geliebäugelt hat.
Was bringt die Zukunft? Wie kann mein Leben gelingen? Wann bin ich endlich am Ziel meiner Träume? Es sind wohl Fragen wie diese, die uns vollmundige Versprechungen, die uns „das Blaue vom Himmel“ so verlockend erscheinen lassen.
Wir tragen alle den Wunsch in uns, ein sinnvolles, gelingendes, selbstbestimmtes Leben zu führen. Wir stehen in der Spannung zwischen der Sehnsucht nach einem befriedigenden Leben und der oft kargen Realität des Alltags. Und insgeheim wissen wir: Die heile Welt wird es nie geben.
Da hilft auch keine Geduld. Da hilft auch kein Warten. Wie oft versuchen wir, die Zeichen zu deuten. Jetzt wird endlich alles gut! Im Beruf, in der Familie, in der Gesellschaft. Die Welt wird heil, Beziehungen werden harmonisch, Konflikte und Katastrophen verschwinden.
Aber nein! Immer wieder müssen wir erkennen, dass unser Tun vorläufig ist, dass es nicht zum Ziel führt, dass unser Leben fragmentarisch bleibt, stückhaft. Es geschehen keine Zeichen und Wunder, und wenn doch, dann stellen sie sich früher oder später als Irrlichter, als Irrtümer und Enttäuschungen heraus. Das Leben in der Vorläufigkeit, im Unperfekten, bleibt uns nicht erspart.
Wann wird endlich alles gut? Diese Frage hat wohl auch die Jüngerinnen und Jünger, diese Frage hat wohl auch die Mitglieder der lukanischen Gemeinde bewegt. Wann wird endlich alles gut? Wann kommt endlich das Reich Gottes? Wann bricht endlich der Tag des Menschensohns, der Tag des Messias an?
Bei Lukas sind es die Pharisäer, die Jesus diese Frage stellen: Wann kommt das Reich Gottes? Doch Jesus beantwortet diese Frage nicht. Er gibt keine Antwort darauf, wann das Reich Gottes kommen wird. Stattdessen sagt er: „Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es an äußeren Zeichen erkennen könnte. … Das Reich Gottes ist schon mitten unter euch.“ Spekuliert nicht! Haltet nicht Ausschau nach Zeichen! Das Gottesreich ist da, aber verborgen. „Das Reich Gottes ist schon mitten unter euch.“
„Entòs hymón“ – „mitten unter euch“. Luther übersetzt an dieser Stelle „inwendig“, also „das Gottesreich ist in euch“. In der Tat sind beide Übersetzungen möglich, und es ist schwer zu entscheiden, welcher der Vorzug zu geben ist. Aber ist eine Entscheidung wirklich nötig? Kann das Reich Gottes nicht in uns und unter uns anbrechen? Innerlich sind wir ergriffen vom Glauben an den lebendigen Gott. Äußerlich, in der Welt, macht sich dieser Glaube „unter uns“ bemerkbar. Oder mit den Worten eines Liedes der Kinderkirche: „Weißt du, wo der Himmel ist, außen oder innen? Eine Handbreit rechts und links, du bist mittendrinnen.“
„In den Gotteskindern ist das Reich Gottes inwendig da“, sagte jemand. So ist das Christentum, so ist der christliche Glaube eine innere Kraft der Seele, die das Miteinander der Menschen neu gestaltet. Eine Geschichte, die Dorothee Sölle erzählt hat, zeigt das sehr eindrücklich:
In einer Grundschule in Norddeutschland wurden behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam unterrichtet. Unter den Kindern entwickelten sich Freundschaften. Sie halfen einander bei den Hausarbeiten. Sie versuchten einander zu erklären, was jemand nicht verstanden hatte.
Eines Tages stellte sich heraus, dass die Kinder nach Beendigung der Grundschule nicht mehr gemeinsam unterrichtet werden konnten. Integrativer Unterricht war in der weiterführenden Schule nicht vorgesehen. Die Kinder protestierten. Die Eltern versuchten bei der Schulbehörde einen integrativen Unterricht durchzusetzen. Doch es half alles nichts – die Schulbehörde bliebt hart.
Bis die Kinder zu einer List griffen: Wenn die behinderten Mitschülerinnen und Mitschüler in die Sonderschule gehen mussten, dann wollten die anderen Kinder auch dorthin. Und wie kommt man in die Sonderschule? Richtig, wenn man schlechte, wenn man ungenügende Leistungen erbringt. Und das taten nun alle Kinder, egal ob beeinträchtigt oder nicht.
Dreimal dürfen Sie raten, wie die Schulbehörde schließlich entschieden hat. „Weißt du, wo der Himmel ist, außen oder innen? Eine Handbreit rechts und links, du bist mittendrinnen.“
Der Himmel. Das Reich Gottes. Blitzt nicht in solchen Geschichten eine Ahnung für die Realität des Reiches Gottes auf? Zeigen nicht solche Geschichten, was möglich wäre, wenn wir konsequenter dem Weg Jesu, dem Weg des Menschensohnes folgen würden?
Gewiss, das Reich Gottes können wir durch unser Handeln, durch unser Tun nicht herstellen. Der Gedanke vom Reich Gottes meint immer mehr, als das vom Menschen Machbare: Mehr Gerechtigkeit, mehr Gemeinschaft, mehr Versöhnung, mehr Liebe.
Dass das Reich Gottes für uns unerreichbar ist, bewahrt uns vor Totalität. Dass das Reich Gottes für uns nicht erreichbar ist, hält die Sehnsucht nach einer anderen Welt, nach einem anderen Leben aufrecht. Vielleicht ist es gar nicht so wichtig, dass der Menschensohn wiederkommt. Vielleicht ist es wichtiger, dass wir ihm auf seinem Weg folgen:
Wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, ist der Menschensohn gegenwärtig und teilt Leiden und Tod.
Wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, ist der Menschensohn gegenwärtig und stiftet Gemeinschaft.
Wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, ist der Menschensohn gegenwärtig.
Er ist gegenwärtig, und Kranke werden gesund, Ausgegrenzte werden mit einbezogen, Traurige werden getröstet, Fremde werden heimisch.
Unberechenbar. Unvorhersehbar. Unerwartet. Jedenfalls nicht planbar. „Wie der Blitz von einem Ende des Himmels bis zum andern leuchtet, so wird der Menschensohn an seinem Tag erscheinen.“ Das Reich Gottes ist inwendig in uns. Das Reich Gottes ist mitten unter uns. Der Menschensohn, das Reich Gottes, sie bleiben unverfügbar. Sie bleiben unverfügbar, aber die Sehnsucht bleibt.
Amen.
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