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Gauner und Gutmensch

Predigt zu Lukas 18, 9-14
Martin-Luther-Kirche Linz am 16.8.2015
Lukaskirche Leonding am 16.8.2015

Jesus sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

„Ein Mensch betrachtete einst näher
Die Fabel von dem Pharisäer,
Der Gott gedankt voll Heuchelei
Dafür, dass er kein Zöllner sei.
Gottlob! Rief er in eitlem Sinn,
Dass ich kein Pharisäer bin!“

Der sprichwörtliche „Pharisäer“, den Eugen Roth in diesen Zeilen beschreibt, bin das nicht ich? Der Mensch, der die Heuchelei – oder sagen wir besser: die Selbstzufriedenheit, die Überheblichkeit – des „Pharisäers“ durchschaut, bin das nicht ich?
Bist das nicht du? Sind das nicht wir alle?

Historisch gesehen kommt der Pharisäer zu Unrecht zu seinem schlechten Ruf. Pharisäer waren im antiken Judentum Leute, die den Alltag heiligen und damit Gott die Ehre geben wollten. Ein Pharisäer hielt sich an die Gebote, führte ein frommes Leben, fastete und gab den anderen von seinem Einkommen ab. Ein Pharisäer wollte möglichst viel richtig machen. Er wollte gut sein, das Richtige und Gutes tun für sich und seine Mitmenschen.
Der Pharisäer – der gute Mensch, der Gutmensch des antiken Judentums? Vielleicht, jedenfalls sollten wir den Begriff „Pharisäer“ nicht als Synonym für den Heuchler, für den Scheinheiligen verwenden. Das wird der historischen Realität und Bedeutung der Pharisäer nicht gerecht und setzt eine unselige antijüdische Auslegungstradition fort.

Außerdem: Haben wir ihn nicht alle in uns, den kleinen Gutmenschen, der das Richtige tun, der gut sein will? Wollen wir nicht alle Vater und Mutter ehren, unsere Kinder begleiten und stärken, gute Freunde und Kollegen sein, den Müll richtig trennen, für Bedürftige spenden, Flüchtlinge unterstützen, unseren CO2-Ausstoß gering halten, Kranke besuchen – kurz und gut: gute Menschen sein?

Vielleicht. Vielleicht steckt in uns allen ein kleiner Gutmensch, ein Mensch, der sich bemüht, nach bestem Wissen und Gewissen gut zu sein, und dem das – nach menschlichem Maß gemessen – auch gar nicht so schlecht gelingt. Sind wir also alle Pharisäer im besten Sinne?

Und auf der anderen Seite: der Zöllner. Ein Gauner, ein Schlitzohr und Betrüger – jedenfalls nach Meinung und Erfahrung der Zeitgenossen des Evangelisten Lukas, wohl auch nach Meinung und Erfahrung des Pharisäers in unserem Gleichnis. Ein Gauner, der andere betrügt und um ihr Geld bringt, der krumme Dinge am Laufen hat, dem die Wahrheit und Rechtschaffenheit nicht so wichtig ist.

Natürlich kennen wir ihn, den Gauner. Er begegnet uns täglich in den Nachrichten, in Politik, Wirtschaft, Berufsleben und manchmal sogar in Freundeskreis oder Familie:
Ein Kollege, der uns hintergeht; ein Verkäufer, der uns nur die halbe Wahrheit sagt über ein Produkt, das wir kaufen wollen; eine Nachbarin, die schon wieder Gerüchte in die Welt setzt, die nicht stimmen.

Natürlich kennen wir ihn, den Gauner. Er sitzt an der Ecke und bettelt um Geld. Er erschleicht sich Sozialleistungen. Er hält sich nicht an Regeln und hat dabei nicht einmal ein schlechtes Gewissen. Natürlich kennen wir ihn, den Gauner. Er ist keiner von uns, er ist immer ein anderer.

Wie klingt nun unser Gleichnis, wenn wir statt Pharisäer Gutmensch und statt Zöllner Gauner lesen?

Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein guter und gesetzestreuer Mensch, der andere ein Gauner. Der gute Mensch stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Gauner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. Der Gauner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!

Wer von den beiden, so frage ich, hat wohl mehr Einsicht in die eigenen Fehler und Verfehlungen? Wer von den beiden hat wohl mehr Einsicht in die eigene Fehlbarkeit, oder – theologisch gesprochen – in die eigene Sündhaftigkeit? Der Gutmensch? Der Gauner? Entscheiden Sie selbst. Jedenfalls gewinnt der Gauner bei mir doch erheblich an Sympathie.

Und haben wir nicht selber auch Gaunermomente – Momente, in denen wir nicht ganz ehrlich, nicht ganz fair, vielleicht sogar auch ein bisschen böse sind? Profitieren wir nicht auch manchmal von ungerechten Zuständen und Verhältnissen?

Und andererseits: kennen wir nicht auch diese Momente der Einsicht, in denen wir klar sehen, was wir falsch gemacht haben, wen wir belogen haben, wem wir weh getan haben?
Haben wir nicht auch diese Momente, in denen wir sagen: „Gott, sei mir Sünder gnädig“?

Gauner und Gutmensch, Gutmensch und Gauner – zwei Seiten einer Medaille? Vielleicht.
Der Liedermacher Herman van Veen singt in einem seiner Lieder: „Es lebt ganz unbemerkt ein Wiesel irgendwo in uns, das, wenn es eben nur die Chance kriegt, sich mit aller Kunst um jede Ecke windet und sofort ein Schlupfloch findet auf dem schnellsten Wege des geringsten Widerstands.“ Ist es dieses Wiesel in uns, das aus dem guten Menschen den Heuchler oder gar den Gauner macht?

Beim guten Menschen, der sich an die Gebote und Gesetze hält, ist die Heuchelei offensichtlich. Er verachtet alle, die nicht so gesetzestreu, tugendhaft und gut sind wie er selbst. Er blickt auf alle herab, die nicht nach seinen hohen moralischen Standards leben. Jedenfalls tut das der gute Mensch in unserem Gleichnis.

In seiner Selbstgewissheit klettert er Gott quasi auf den Schoß, präsentiert sich als Musterschüler und fühlt sich ganz und gar tugendhaft. Dabei vergisst er, das kein Mensch ganz und gar tugendhaft, ganz und gar gut sein kann. Dabei vergisst er, dass auch er vor Gott unvollkommen, fehlerhaft – theologisch gesprochen – ein Sünder ist.

Diese existentielle Grundtatsache des Menschseins wird vom Gutmenschen geleugnet, vielleicht auch nur ignoriert. Der schiefe Blick, den er auf den Gauner wirft, der in seinen Augen schlecht, moralisch verwerflich ist, setzt ihn ins Unrecht, macht ihn überheblich, ist sein moralischer Stolperstein. Der Mensch, der sich bemüht gut zu sein und alles richtig zu machen, scheitert in dem Moment, in dem er sich mit anderen vergleicht und überheblich wird.

Wie anders klingt da das Bekenntnis des Gauners: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Einsichtig, ehrlich, demütig. Der Gauner hält Distanz, weiß, dass er ein Außenseiter Gottes ist, weiß, dass er auf Verzeihen, auf Gnade angewiesen ist. Der Gauner fühlt sich nicht überlegen, präsentiert nicht seine Leistungen und guten Werke, prahlt nicht mit seiner moralischen Integrität.

Und doch: Hat nicht auch dieses Eingeständnis der eigenen Sündhaftigkeit etwas Überhebliches, etwas Falsches an sich? Macht es sich der Gauner nicht allzu leicht mit seinem Sündenbekenntnis, mit seiner Bitte um Vergebung? Können wir ihm die Demut, die er an den Tag legt, einfach so abnehmen?

Georg Raatz schreibt: „Wahre Demut ruft die Paradoxie auf, demütig sein zu müssen, ohne dies auch von sich zu wissen. … Wer bescheiden und demütig ist und darum weiß, tappt unversehens in die Falle stolzer Demut, eine subtile Form eines frommen Werkes.
Luther hat daher jede Zuschreibbarkeit von Gerechtfertigtsein mit seiner simul-Formel unterlaufen: Sünde und Gerechtigkeit lösen sich nicht schlicht ab, sondern sind zwei gleichzeitige Dimensionen menschlichen Selbstverhältnisses.“ (RAATZ)

Simul iustus et peccator – zugleich gerechtfertigt und Sünder, zugleich guter Mensch und Gauner. Phariäser und Zöllner – zwei Seiten einer Medaille? Gewiss haben wir alle den guten Menschen und den Gauner in uns. Gewiss sind wir gleichzeitig Sünder und stehen unter der Gnade Gottes. Ist es das, was uns dieses Gleichnis sagen will?

Jesus stellt sich in der Beurteilung der Geschichte auf die Seite des Gauners. In unser Deutungsschema übersetzt sagt er über Zöllner und Pharisäer:

Ich sage euch: Der Gauner ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht der Gute. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

Gewiss will Jesus nicht die Verfehlungen des Zöllners und seine Verstrickung in zwielichtige Machenschaften gutheißen. Gewiss verachtet Jesus nicht das fromme Bemühen  des Pharisäers die Gebote zu halten und ein guter Mensch zu sein.
Was den Unterschied macht und den Ausschlag gibt, ist aber wohl die Fähigkeit zur Einsicht, die Fähigkeit, sich kritisch zu sich selbst und zu seinen eigenen Fehlern zu verhalten.

„Niemand ist gut, als Gott allein“ und jeder von uns ist auf die Gnade Gottes und seiner Mitmenschen angewiesen lautet die Botschaft. Der Zöllner hat sie – wahrscheinlich – verstanden.

Amen.

Published inPredigten

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