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Protect me from what I want

Predigt zu Johannes 16, 23b-28; 33
Martin-Luther-Kirche Linz am 10.5.2015

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben. Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei. Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Zeit, dass ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten will; denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und  glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin. Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater. Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

„Protect me from what I want“ formulierte einst die amerikanische Konzeptkünstlerin Jenny Holzer. „Beschütze mich vor dem, was ich will“. In der Tat ist unsere heutige Welt darauf ausgerichtet, immer neue Wünsche zu generieren, deren scheinbare Befriedigung dann die Wirtschaft am Laufen hält. „Kapitalismus der Emotion“ nennt das Byung-Chul Han, ein in Deutschland lebender koreanischer Philosoph und Theologe. Ich zitiere aus seinem Buch „Psychopolitik“:

„Der Konsumkapitalismus setzt … Emotionen ein, um mehr Kaufreize und Bedürfnisse zu erzeugen. Das Emotional Design modelliert Emotionen, gestaltet emotionale Muster zur Maximierung des Konsums. Heute konsumieren wir letzten Endes nicht Dinge, sondern Emotionen. Dinge kann man nicht unendlich konsumieren, aber Emotionen schon. Die Emotionen entfalten sich jenseits des Gebrauchswertes. So eröffnen sie ein neues, unendliches Konsumfeld.“

Welchen Sinn macht es angesichts unserer ständig nachwachsenden Wünsche eigentlich noch zu bitten? „Unser tägliches Brot gib uns heute“ – macht diese im Vater unser formulierte Bitte in unserer heutigen, von Warenüberfluss geprägten Welt überhaupt noch Sinn?

„Bittet, so wird euch gegeben“, sagt Jesus im Lukasevangelium. Johannes formuliert es in unserem heutigen Predigttext so: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben.“

Brauchen wir die Bitte heute überhaupt noch, oder sind wir in unserer wohlstandsgesättigten Gesellschaft des Bittens längst überdrüssig? Handeln wir nicht vielmehr nach der Maxime „Zahlt, so wird euch gegeben?“

Ein Freund hat mir neulich folgende Begebenheit erzählt: Als er aus dem Haus kam, sah er einen Nachbarn, der offensichtlich ein Problem mit seinem Auto hatte. Er fragte, ob er helfen könne, doch der Nachbar antwortete: „Nein danke, ich habe schon den Pannendienst gerufen. Er kommt in einer Stunde und gibt mir Starthilfe. Die Batterie ist nämlich schon zu schwach.“ Mein Freund schüttelte den Kopf und sagte: „Warum hast du mich nicht gefragt? Ich kann dir doch auch helfen.“ Dann holte er Kabel aus seinem Kofferraum und gab dem Nachbarn Starthilfe.

Haben wir das Bitten verlernt? Können wir Freunde, Nachbarn oder Kollegen nicht mehr um ein wenig Mehl, um einen Gefallen oder um Hilfe bitten? Verlassen wir uns nur mehr auf Hilfe, die professionell und durch Geld vermittelt ist?

„Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben.“
Vielleicht lohnt es sich auch, über den Inhalt unserer Bitten und Wünsche nachzudenken. Was wünschen wir uns – zu Weihnachten, zu Ostern, zum Geburtstag, zum Muttertag?
Welche großen und kleinen Wünsche erfüllen wir uns gerne selber? Welche Wünsche sind für uns so selbstverständlich, dass wir gar nicht mehr über sie nachdenken?

„The life I’ve always wanted
I guess I’ll never have
I’ll be working for somebody else
Until I’m in my grave
I’ll be dreaming of a live of ease
And mountains Oh mountains o‘ things“

Diese Verse stammen aus einem Lied der Liedermacherin und Sängerin Tracy Chapman:

„Das Leben, das ich immer wollte,
werde ich wahrscheinlich nie haben.
Ich werde für jemand anderen arbeiten
bis ich in meinem Grab sein werde.
Ich werde von einem Leben in Muße träumen
und von Bergen von Dingen.“

Berge von Dingen, Erlebnisse ohne Ende, ein Leben in Muße – ohne Arbeit und ohne Mühe – sind das die Wünsche, die wir haben? Mir fällt an dieser Stelle der reiche Jüngling ein, dem Jesus sagt: „Willst du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach!“
Mir fallen an dieser Stelle auch all jene ein, die nicht am Wettlauf der Wünsche und ihrer Erfüllung teilnehmen können, weil sie von ökonomischer, seelischer oder körperlicher Not geplagt sind.

Wie verhalten wir uns, wenn von uns verlangt wird, unseren irdischen Wünschen zu entsagen? Gehen auch wir betrübt davon wie der reiche Jüngling?

„Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben.“
Entspricht es eigentlich unserer Erfahrung, dass Wünsche erfüllt werden?
Ja klar, das Konzert zum Geburtstag, ein Buch zu Weihnachten, die Urlaubs- oder Maturareise – sie alle werden, sofern leistbar, erfüllt. Und uns ist meist auch klar, dass Gott keine Wunscherfüllungsmaschine ist, die auf Knopfdruck, also wie das Amen im Gebet, unsere materiellen Sehnsüchte und Wünsche stillt.

Aber wie steht es mit den basalen und mit den ganz großen Wünschen? Essen, Trinken, Kleidung, Liebe, Gesundheit, Freiheit, Selbstbestimmung … Auch hier müssen wir erleben, dass Wünsche nicht immer erfüllt werden.  Menschen hungern und dursten, Menschen sind allein, Menschen sind eingesperrt, werden krank, sterben.

Auch wenn wir uns im Gebet an Gott wenden, können wir Hunger, Durst, Krankheit und Tod nicht überwinden. Das magische Missverständnis des Gebets bringt uns nicht weiter. Das Gebet ist kein Zauberspruch, der uns vor Leid und Unheil bewahrt. Gott ist keine Wunscherfüllungsmaschine, die unser Bedürfnis nach Heilsein als Belohnung für unsere Gebete erfüllt.

Welchen Sinn macht es dann zu beten? Welchen Sinn hat das Gebet?
„In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“
Diese Zusage Jesu bringt uns der Antwort vielleicht ein Stück näher: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“

Angst, so wissen wir aus der Psychologie, kann Veränderungen blockieren, verhindert Lösungen, schränkt uns in unserer Handlungsfähigkeit ein. Wenn wir der Angst in die Augen schauen, verschwinden Blockaden, tauchen Perspektiven auf und die Angst wird bewältigbar. Wenn wir unsere Ängste formulieren, ist das der erste Schritt zu einer Lösung, zur Überwindung der Angst.

Ähnlich ist das auch mit unseren Hoffnungen: Wenn wir sie formulieren, gewinnen sie Gestalt. Wenn wir sie aussprechen, können wir sie mit anderen teilen. Wenn wir sie als Gebet sprechen, sind sie wahrhaftig gegenwärtig. Beten verbindet uns mit unseren Hoffnungen und Ängsten, macht uns ein Stück lebendiger, menschlicher. Beten verbindet uns mit unseren Schwestern und Brüdern im Glauben und lässt gemeinsame Visionen wachsen.

„Ein christliches Gebet“, so Dorothee Sölle, „sollte ein Stück Auferstehung realisieren und nicht in einem Zustand vor Ostern verharren. Wir erwarten nicht mehr Wunder von außen im Gebet, weil wir selber in das Wunder der Veränderung einbezogen sind und im Gebet unsere Zukunft vorwegnehmend formulieren.

Entprivatisiert und politisch geworden ist das Gebet dann, wenn wir uns ausdrücklich mit den Schmerzen und Hoffnungen der Menschen, mit denen wir leben, identifizieren.
Wir sprechen diese Schmerzen und Hoffnungen, diesen Hunger nach dem Reich Gottes aus als das, ‚was uns unbedingt angeht‘. Wenn das gelingt, dann ist Gott in dem, was uns unbedingt angeht, gegenwärtig … Dass Menschen ihren Hunger nach dem Reich Gottes aussprechen, das ist Beten“, so Sölle.

Wird der Hunger nach dem Reich Gottes in unseren Gebeten spürbar? Und wie erfüllt sich das Gebet, das wir in Jesu Namen an Gott richten?

„Jesus ist Gott, Gott ist die Liebe“, das ist – verkürzt ausgedrückt – das Credo des Johannes. Gott ist in Jesus gegenwärtig. Gott ist in der Liebe spürbar, erfahrbar.
So wie die Liebe Gottes in Jesus, in unseren Schwestern und Brüdern gegenwärtig ist, so sind auch unsere Wünsche und Hoffnungen, sofern sie uns menschlicher machen, im Gebet erfüllt.

Im Gebet erleben wir die Erfüllung unserer Wünsche und Hoffnungen, weil wir verbunden sind in der Gemeinschaft und Solidarität der Schwestern und Brüder Christi.

Amen.

Published inPredigten

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