Zum Inhalt

Der Dreischritt der Versöhnung

Predigt zu Matthäus 5, 38-48
Lukaskirche Leonding am 25.10.2015

Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin. Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel. Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm. Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab.

Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.

Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden? Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist. 

Liebe Gemeinde,
wie halten Sie es denn mit der Feindesliebe? Halten Sie auch die andere Wange hin? Geben Sie jemandem, der ihr Hemd will, auch noch Ihren Mantel? Oder bleiben Sie lieber beim altvertrauten „Auge um Auge, Zahn um Zahn“?

„Auge um Auge, Zahn um Zahn“ – das bekannte Prinzip des verhältnismäßigen Ausgleichs, der verhältnismäßigen Wiedergutmachung eines Schadens. Verhältnismäßig, aber nicht überschießend. Ein Auge für ein Auge, aber keinen Kopf. Ein Auto für ein Auto, aber kein Haus.

Auch wenn es uns nicht bewusst ist, aber das Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ gilt auch in unserer Rechtsordnung – im Sinne der Verhältnismäßigkeit von Ansprüchen bei erlittenem Schaden.

„Auge um Auge, Zahn um Zahn“ bedeutet ja gerade nicht Rache, bedeutet gerade nicht Vergeltung, sondern es setzt den erlittenen Schaden und den zu Recht zu erwartenden Schadenersatz in ein vernünftiges, Vergeltung begrenzendes Verhältnis.

Klingt eigentlich ganz praktikabel. Klingt eigentlich ganz vernünftig. Warum also darauf verzichten? Warum sollen wir dem, der uns etwas Böses antut, keinen Widerstand leisten, sondern ihm sogar noch die andere Wange hinhalten?

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle einen kleinen Witz erzählen: Treffen sich zwei Anwälte, fragt der eine: „Wie geht es dir?“ Darauf der andere: „Mir geht es gut. Ich kann klagen.“
„Mir geht es gut. Ich kann klagen.“

Charakterisiert das nicht pointiert die Einstellung vieler Menschen in unserer gegenwärtigen Gesellschaft? Ist es nicht diese Einstellung, das Denken in Ansprüchen und Rechten, die immer wieder das Streit- und Konfliktkarussell in Gang setzt, die immer wieder Feindschaft und Gegnerschaft hervorbringt und am Leben erhält?

Streit und Konflikte in vielen Lebensbereichen – in Politik, Beruf, Familie, Partnerschaft. Streit und Konflikt, ja sogar Krieg, auch auf internationaler Ebene. Ist es da nicht vernünftig, auch einmal zurückzustecken, auch einmal auf seine Ansprüche zu verzichten, um das Karussell des Streites, um das Karussell von Krieg und Konflikt zu unterbrechen?

Wir alle kennen Situationen, wo sich Konflikte aufschaukeln, wo Konflikte eskalieren. Ob ein Kampf der Geschwister im Kinderzimmer, ob ein Streit in der Partnerschaft oder eine Meinungsverschiedenheit im Arbeitsleben – immer wieder geht es um Durchsetzen, um Nachgeben, um Ausgleich.

Und immer wieder erleben wir, dass sich der Stärkere, dass sich die rücksichtslos Agierende durchsetzt. Ohne Rücksicht auf Verluste erreichen manche Menschen ihre Ziele, andere geben immer wieder klein bei.

Ist es da wirklich angezeigt, nachzugeben und die andere Wange hinzuhalten? Wird da die Forderung „Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand“ nicht zur zynischen Rechtfertigung des Rechtes des Stärkeren?

Und wie können wir gar dem Gebot zustimmen „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen“? Verlangt Jesus da nicht Unmenschliches?

„Gott lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ Diese grundlegende Erfahrung machen Menschen zu allen Zeiten. Diese grundlegende Erfahrung machen auch wir immer wieder.

Die Erfahrung, dass es Bösen gut geht. Die Erfahrung, dass guten und gerechten Menschen Schlechtes widerfährt. „Only the good die young“ heißt es – nur die Guten sterben jung; die schlechten hingegen genießen ein langes Leben.

„Gott lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ Starker Tobak; schwer Verdauliches; Hoffnung tötender Realismus. Und dann die Forderung: „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.“ Weiß Jesus eigentlich, was er da verlangt?

Vielleicht hilft uns ein Blick auf die Bedeutung des Wortes „Liebe“ weiter, für das es im Griechischen gleich drei Wörter gibt. „Eros“ für die romantische und erotische Liebe; „Philia“ für Freundschaft und Verbundenheit; „Agape“ für die tätige Liebe und ein grundlegendes Verständnis für alle Menschen.

Es ist wohl kaum vorstellbar, dass Jesus Eros oder Freundschaft meint, wenn er zur Feindesliebe aufruft. Eigentlich ist in diesem Zusammenhang nur Agape, die tätige Liebe, das grundlegende Verständnis für alle Menschen, auch für Gegner, auch für Feinde, denkbar.

Müssen wir also alle Helden und Heilige werden wie Mahatma Gandhi, Nelson Mandela oder Martin Luther King?

In der Lesung haben wir aus dem Epheserbrief gehört: „So steht nun fest, umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit und angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit und an den Beinen gestiefelt, bereit einzutreten für das Evangelium des Friedens.“

Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden – sind das nicht auch die Waffen, die Mahatma Gandhi, Nelson Mandela und Martin Luther King eingesetzt haben? Sind das nicht auch die Waffen, die uns immer zur Verfügung stehen: Wahres aussprechen, auf Gerechtigkeit pochen, Friedfertigkeit üben? Und ist das nicht etwas Anderes, als die Wange hinzuhalten und keinen Widerstand gegen das Böse zu leisten?

Wahres aussprechen, auf Gerechtigkeit pochen, Friedfertigkeit üben. Nur wenn die Wahrheit ausgesprochen werden kann, ist Gerechtigkeit möglich. Nur wenn gerechte Verhältnisse geschaffen werden, kann Friede dauerhaft bestehen.

Wahrheit, Gerechtigkeit, Friede – der Dreischritt der Versöhnung?

„Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet.“ Jesu Gebot der Feindesliebe beinhaltet ja auch ein inhaltliches Ziel. Wir alle sollen Söhne und Töchter Gottes werden.

Söhne und Töchter Gottes – das erinnert uns an die grundlegende Tatsache, dass wir zum Bilde Gottes geschaffen sind. Wenn wir aber alle immer schon Gottes Ebenbild sind, dann dürfen wir selbst unseren Feinden nicht feindlich gegenüberstehen.

Wenn wir alle immer schon Söhne und Töchter Gottes sind, dann müssen wir auch unsere Gegner und Feinde als solche anerkennen – als Kinder Gottes, als Gottes Ebenbild. Das ist wahrlich nicht immer einfach. Gerade wenn Menschen uns feindlich gegenüberstehen und uns schaden, gerade wenn Menschen uns zutiefst verletzen, sehen wir in ihnen eher das Ebenbild des Teufels, als das Ebenbild Gottes.

Gerade wenn Menschen uns Böses antun und uns verfolgen, sind wir kaum zu Verzeihung und Vergebung fähig, sodass wir sagen müssen: „Was beim Menschen nicht möglich ist, ist möglich bei Gott.“

Und die Feindesliebe?

Vielleicht liegt der Sinn des Gebotes zur Feindesliebe, vielleicht liegt der Sinn des Verzichtes auf Gewalt ja auch darin, unseren Gegnern, unseren Feinden die Möglichkeit offen zu halten, Söhne und Töchter Gottes zu werden.

Nur wenn wir auf Gewalt verzichten und die Spirale von Streit, Gewalt und Krieg durchbrechen, werden wir auch fähig, den Dreischritt der Versöhnung zu gehen.
Wahres aussprechen, auf Gerechtigkeit pochen, Friedfertigkeit üben sind dann Waffen dieser Liebe, die Versöhnung erst möglich macht.

Amen.

Published inPredigten

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert