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Die Absichten der Herzen

Predigt zu 1. Korinther 4, 1-5
Martin-Luther-Kirche Linz am 13.12.2015

Als Diener Christi soll man uns betrachten und als Verwalter von Geheimnissen Gottes. Von Verwaltern aber verlangt man, dass sie sich treu erweisen. Mir macht es allerdings nichts aus, wenn ihr oder ein menschliches Gericht mich zur Verantwortung zieht; ich urteile auch nicht über mich selbst. Ich bin mir zwar keiner Schuld bewusst, doch bin ich dadurch noch nicht gerecht gesprochen; der Herr ist es, der mich zur Rechenschaft zieht. Richtet also nicht vor der Zeit; wartet, bis der Herr kommt, der das im Dunkeln Verborgene ans Licht bringen und die Absichten der Herzen aufdecken wird. Dann wird jeder sein Lob von Gott erhalten.

Liebe Gemeinde,
wer brächte die Absicht unserer Herzen besser ans Licht, als das Kind in der Krippe? Angesichts eines Neugeborenen – wehrlos, schutzbedürftig, angewiesen – offenbaren sich Charakter und Absichten eines Menschen.

Trachten wir wie Herodes dem Kinde nach dem Leben, oder bringen wir ihm wie die Weisen Geschenke und Ehrerbietung? Sehen wir das Kind als Störfaktor in unserem Leben, oder ist es eine Bereicherung, die wir bewahren und wachsen lassen wollen?

Angesichts eines Neugeborenen, angesichts eines Kindes offenbaren sich Charakter und Absichten eines Menschen.

Der polnische Kinderarzt Janusz Korczak schrieb in seinem 1919 erschienenen Buch „Wie liebt man ein Kind“:

„Unter Millionen Menschen hast du noch etwas geboren – was? – ein Hälmchen, ein Stäubchen, – ein Nichts. So zerbrechlich, daß eine Bakterie es töten kann, die unter tausendfacher Vergrößerung immer noch nur einen Punkt im Blickfeld darstellt …

Aber dieses Nichts ist ein leibhaftiger Bruder der Meereswelle, des Sturms, des Blitzes, der Sonne, der Milchstraße. Dieses Staubkorn ist ein Bruder der Ähre, des Grases, der Eiche, der Palme – des Kükens, des Löwenjungen, des Füllens, des Hündchens.

In ihm ist etwas, das fühlt, fragend forscht – leidet, wünscht, sich freut, liebt, vertraut, haßt – glaubt, zweifelt, an sich zieht und abstößt.

Dieses Stäubchen umfaßt mit dem Gedanken alles: Sterne und Ozeane, Berge und Abgründe. Und was ist der Inhalt der Seele anderes als ein Universum, aber ohne Maß?

Da haben wir den Widerspruch im menschlichen Wesen: Aus Staub ist es entstanden, aber Gott hat in ihm Wohnung genommen.“

„Aus Staub ist es entstanden, aber Gott hat in ihm Wohnung genommen.“ Auch zu Weihnachten nimmt Gott Wohnung mitten unter uns, wird Mensch in einem kleinen, wehrlosen, schutzbedürftigen Kind.

Gewiss hat Paulus nicht an das Christkind gedacht, an das Jesuskind in der Krippe, als er schrieb: „Wartet, bis der Herr kommt, der das im Dunkeln Verborgene ans Licht bringen und die Absichten der Herzen aufdecken wird.“

Gewiss hat Paulus nicht an das Christkind gedacht, aber kann das Kind in der Krippe nicht genau das?

Mir scheint, es ist eines der Geheimnisse Gottes, dass wir angesichts des Jesuskindes in der Krippe, dass wir angesichts eines jeden Kindes das Trachten unserer Herzen, unsere geheimen Absichten und Wünsche, in Frage gestellt sehen.

Wer von Ihnen selbst Kinder hat, kann die Herausforderungen nachvollziehen, die mit der Begleitung und Erziehung von Kindern verbunden sind; freilich kennen Sie dann auch die schönen und beglückenden Momente des Elternseins, und ich glaube, die überwiegen.

Ob Sie mit oder ohne Kinder leben, jeder von Ihnen weiß, dass wir im Laufe des Lebens immer wieder an anderen schuldig werden; dass wir oft unseren Mitmenschen nicht gerecht werden; dass wir über andere urteilen; dass über uns gerichtet wird.

Vielleicht urteilen wir oft auch über uns selbst am härtesten; vielleicht sind wir auch uns selbst gegenüber am unbarmherzigsten. Oder gehören Sie zu der Sorte Mensch, die sich nicht um das Urteil anderer kümmern?

„Mir macht es allerdings nichts aus, wenn ihr oder ein menschliches Gericht mich zur Verantwortung zieht; ich urteile auch nicht über mich selbst“, so Paulus. Und weiter: „Ich bin mir zwar keiner Schuld bewusst, doch bin ich dadurch noch nicht gerecht gesprochen; der Herr ist es, der mich zur Rechenschaft zieht.“

„Der Herr ist es, der mich zur Rechenschaft zieht.“ Wenn Sie jetzt an apokalyptische Gerichtsszenen denken, liegen Sie falsch. Wenn Sie jetzt Bilder von Marter und Höllenqualen vor Ihrem geistigen Auge sehen, irren Sie sich.

Wie könnte der Menschensohn, wie könnte der Sohn Gottes uns auf solche Weise zur Rechenschaft ziehen? Wie könnte ein Gott, der als wehrloser Mensch zur Welt kommt, seine Kinder, seine Töchter und Söhne, auf solche Weise richten?

Alle Eltern unter Ihnen wissen, dass wir immer wieder in Gefahr sind, auch auf Mittel der schwarzen Pädagogik zurückzugreifen. Im Alltag, zwischen Beruf und Familie, wenn wir überfordert und gestresst sind, greifen wir immer wieder auch zu Mitteln, die wir bei Lichte besehen nicht in Ordnung finden: Eine unbedachte Drohung, eine übereilte Strafe, ein zu lautes Wort. Auch als Eltern werden wir immer wieder an unseren Kindern schuldig.

Doch als Eltern haben wir immer wieder auch die Worte von Bettina Wegner im Ohr:

„Sind so kleine Hände
winzge Finger dran.
Darf man nie drauf schlagen
die zerbrechen dann.

Sind so kleine Seelen
offen und ganz frei.
Darf man niemals quälen
gehn kaputt dabei.“

Liebe, Wertschätzung, Nachsicht, Geduld, Zärtlichkeit und Verständnis sind die Währungen von Eltern, sind die Währungen von Menschen in Beziehung.

Mit Liebe, Wertschätzung, Nachsicht, Geduld, Zärtlichkeit und Verständnis wollen wir unseren Mitmenschen begegnen. Liebe, Wertschätzung, Nachsicht, Geduld, Zärtlichkeit und Verständnis erwarten wir auch von ihnen.

Und Gott? Was erwartet er von uns?
Wie zieht Gott uns zur Rechenschaft?

In dem Lied „Die Nacht ist vorgedrungen“ haben wir gesungen:

„Dem alle Engel dienen,
wird nun ein Kind und Knecht.
Gott selber ist erschienen
zur Sühne für sein Recht.
Wer schuldig ist auf Erden,
verhüll nicht mehr sein Haupt.
Er soll errettet werden,
wenn er dem Kinde glaubt.“

Liebe, Wertschätzung, Nachsicht, Geduld, Zärtlichkeit und Verständnis erfahren wir also auch von Gott. Mit den Worten des Paulus klingt das so: „Richtet also nicht vor der Zeit; wartet, bis der Herr kommt, der das im Dunkeln Verborgene ans Licht bringen und die Absichten der Herzen aufdecken wird. Dann wird jeder sein Lob von Gott erhalten.“

Im Vertrauen auf das Lob Gottes dürfen wir also auf Weihnachten zugehen. Im Vertrauen auf das Lob Gottes begegnen wir dem Kind in der Krippe. Im Vertrauen auf das Lob Gottes begegnen wir auch dem Auferstandenen, dem Christus, dem Herrn und Bruder.

Wer hätte das gedacht: Nicht mit Strafe und Zorn sieht Gott auf unsere Sünden, sondern mit Erbarmen.

Was im Dunkeln verborgen war, kommt ans Licht. Die Absichten der Herzen werden aufgedeckt. Das Lob Gottes wird verteilt.
Amen.

Published inPredigten

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