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Die Agape Jesu

Predigt zu 1. Johannesbrief, Kapitel 4, 16b bis 21
Gustav-Adolf-Kirche Linz-Urfahr
29. Mai 2016

Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt. Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe. Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht. Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.

Liebe Gemeinde,
„Gott ist die Liebe. Und der Mensch ist auch die Liebe, weil er nach Seinem Bild und Gleichnis gemacht ist“, so der Dichter und Theologe Ernesto Cardenal. „Wenn (Gott) das unendlich Gute, die unendliche Weisheit, die unendliche Wahrheit, die unendliche Schönheit und die unendliche Gerechtigkeit genannt wird, will das nichts anderes heißen, als dass ER eine unendlich weise, unendlich wahre, unendlich schöne und unendlich gerechte Liebe ist. … Und auch der Mensch, nach Seinem Ebenbild geschaffen, ist nichts als Liebe. Im gleichen Augenblick, in dem der Mensch zu einem vernunftbegabten Leben erwacht, merkt er, dass sein ganzes Leben nichts als Wunsch, Leidenschaft, Hunger und Durst nach Liebe ist.“

„Wunsch, Leidenschaft, Hunger und Durst nach Liebe“ – kennen wir das nicht von uns selbst, erleben wir das nicht an unseren Mitmenschen, ist die Welt nicht voll von Angeboten, die diesen Wunsch, diese Leidenschaft, diesen Hunger und Durst nach Liebe stillen wollen? Die Illustrierten sind voll von Beziehungsratschlägen, die Singlebörsen boomen, Liebe ist zu einem zentralen Lebensthema, ja geradezu zu einem Götzen geworden. Doch meint die Bibel diese auf den Einzelnen, auf die Zweisamkeit bezogene Liebe, die an sich und am anderen genug hat?

Im Griechischen gibt es drei Worte für Liebe: Agape, Eros und Philia. Philia, die freundschaftliche Liebe, die uns zur Freundschaft untereinander befähigt. Eros, die erotische Liebe zwischen zwei Menschen. Agape, die allumfassende Liebe, die allen Menschen und Geschöpfen gilt: Als tätige Liebe, die anderen Gutes tut, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. „Gott ist Agape, und wer in der Agape bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“. So steht es im ersten Johannesbrief.

Martin Luther King schreibt dazu in einer seiner Predigten: „Die Liebe, die Jesus zum Kreuz führte und Paulus inmitten aller Verfolgung unverbittert bleiben ließ, ist nicht weich, blutarm und gefühlsselig. Eine solche Liebe schaudert nicht vor dem Bösen zurück und zeigt … eine unendliche Fähigkeit zum Einstecken. Eine solche Liebe überwindet die Welt selbst noch vom Kreuz aus.“ In Jesus ist Gott Mensch geworden, in Jesus ist die Liebe, die Agape Mensch geworden für uns alle. Im Leben und Wirken Jesu zeigt sich die umfassende Liebe, die Agape Gottes: In der Zuwendung zu allen Menschen, zu Kranken, Ausgegrenzten, Fremden, Ungläubigen, Sündern. Es ist diese Liebe, die zuversichtlich macht, die stärkt und ermutigt zur Bruderliebe, zur Nächstenliebe, zur Feindesliebe.

„Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus.“ Es ist eine erstaunliche Tatsache, dass die Angst vor Fremden dort am Größten ist, wo es kaum Fremde gibt. Wo hingegen viele Fremde mitten unter uns wohnen, dort verliert die Angst ihre Grundlage, weil sie durch Begegnungen, durch Erfahrungen des Mit- und Nebeneinanders widerlegt wird. Dazu möchte ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen, die sich in Niederösterreich zugetragen hat:

„Der zweijährige Mustafa mit den rotblonden Haaren schaut mit großen Augen auf die Soletti, die vor ihm am Esstisch stehen. Lukas K. reicht ihm die Schüssel. ‚Danke!‘, sagt Mustafa. Zusammen mit seiner Mutter Mais (25) und seinem Vater Diya (31) ist er im Sommer 2015 aus Aleppo geflohen und wohnt nun seit vier Monaten bei der Familie K. im niederösterreichischen Gießhübl. Die damaligen Nachrichtenbilder von Menschen, die in Traiskirchen auf der Wiese schliefen, machten Karin und Lukas (beide 34) tief betroffen. Sie wollten jemandem eine Starthilfe in Österreich geben. Und öffneten ihre Türen.

Noch vor wenigen Monaten musste die syrische Kleinfamilie den feuchten Herbst zuerst in Traiskirchen in einer Garage, dann im slowakischen Gabcikovo, dem damaligen Außenlager Traiskirchens, zubringen. Stress, Nervosität und Erschöpfung waren der Dauerzustand. Doch plötzlich kam ein Bus und brachte sie zurück nach Österreich. Dort empfingen sie eine Diakonie-Mitarbeiterin und ein junges österreichisches Ehepaar. Lukas schulterte ihre Taschen, verfrachtete alles ins Auto und einige Autobahnkilometer später sollten sie sich in Gießhübl im Bezirk Mödling wiederfinden. ‚Die drei sind eine eigenständige Familie und ur süß‘, so Karin, ‚Jeder macht sein Ding, dann kochen wir mal wieder zusammen. Am Wochenende unternehmen wir was. Ich leih’ mir die Milch aus. Was wir hier haben, fühlt sich wie eine klassische Studenten-WG an – nur halt mit Kindern.‘

Menschen in Not in sein Haus zu holen, erfordert Mut. Menschen, die einem noch unbekannt sind, deren Weltanschauung man nicht kennt und von denen man nicht weiß, ob sie im gemeinsamen Bad die Zahnpastatube zudrehen werden. Und natürlich muss man diesen Mut auch wollen. Sich einer neuen Aufgabe stellen und die Ungewissheiten zulassen können. Doch woran man vielleicht nicht als erstes denkt, ist die persönliche Bereicherung, die man erlebt, wenn man diesen Schritt wagt. Es einfach ausprobiert.“

„Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus.“ Sie können die gesamte Geschichte unter blog.diakonie.at nachlesen. Eine Geschichte die Mut macht, weil sie Unsicherheit und Angst überwindet und Brücken zwischen Menschen baut. Eine Geschichte von Agape, der tätigen Liebe, des Wohlwollens und Verständnisses für alle Menschen.

Vielleicht haben Sie auch schon einmal etwas Ähnliches erlebt: dass Sie mutig waren und einen Schritt auf jemanden zugegangen sind, dem Sie sonst eher aus dem Weg gegangen wären. Dass Sie die Sprachlosigkeit überwunden haben mit einem freundlichen Gruß, mit einem netten Wort für jemanden, mit dem Sie bisher nicht im Gespräch waren. Nicht jeder kann und will Fremde bei sich aufnehmen; aber wir alle können kleine Zeichen setzen im Alltag, um den Nächsten, um unseren Mitmenschen zu erreichen.

„Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht.“ Die Liebe zum Bruder, zur Schwester, zum Mitmenschen und die Liebe zu Gott hängen unmittelbar und ursächlich zusammen. So wie uns unsere Mutter, so wie uns unsere Eltern lieben oder geliebt haben und uns dadurch Mut und Zuversicht für’s Leben geben, so liebt uns Gott und befreit uns zur Agape, zur tätigen Liebe.

„Er hat uns zuerst geliebt.“ Diese Erkenntnis befähigt uns selber zur Liebe, zur Agape, die mehr ist als Gefühl, Zuneigung, Sympathie. Agape liebt auch den Unsympathischen – weil er Gottes Kind, weil er Bruder ist. Agape liebt auch die Feindselige – weil sie Gottes Kind, weil sie Schwester ist. Rufen wir uns in Erinnerung, wie unser Herr und Bruder Jesus Christus in dieser Welt gewirkt hat:

An seinen Werken können wir ihn erkennen:
Blinde sehen und Lahme gehen,
Aussätzige werden rein und Taube hören,
Tote stehen auf
und Armen wird das Evangelium gepredigt.

An unseren Werken sollt ihr uns erkennen,
als Christinnen und Christen:
Wenn wir uns Menschen zuwenden,
die krank sind und behindert werden.
Wenn wir Menschen Lebensmut zurückgeben,
der ihnen von der Welt genommen wurde.
Wenn wir teilen, was wir haben,
sodass alle genug haben
zum Leben.

Ich schließe mit einem Gedicht des katholischen Priesters Martin Gutl:

Einer lächelte nur
Er blieb bei den Kleinen.
Er blieb bei den Schwachen.
Er blieb bei den Armen.
Er blieb bei den Menschen.

Als man ihn fragte,
wie er das alles ertrage,
da lächelte er.
Als man ihm sagte,
er solle an sich denken,
da lächelte er.
Als man ihm vorwarf,
das alles habe doch keinen Sinn,
da lächelte er.
Als man ihn fragte,
ob er denn an Gott glaube,
da lächelte er über die Frage hinweg.

Amen.

Published inPredigten

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