Zum Inhalt

Fürchte dich nicht, vertraue!

Predigt zu Matthäus 1, 18-25 und Jesaja 9, 5-6
Martin-Luther-Kirche Linz
25. Dezember 2016

Die Geburt Jesu Christi geschah aber so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe sie zusammenkamen, dass sie schwanger war von dem Heiligen Geist. Josef aber, ihr Mann, der fromm und gerecht war und sie nicht in Schande bringen wollte, gedachte, sie heimlich zu verlassen. Als er noch so dachte, siehe, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden. Das ist aber alles geschehen, auf dass erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht: »Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns. Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. Und er erkannte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Namen Jesus.

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,
wir haben das Weihnachtsevangelium gehört, das von der Geburt Jesu Zeugnis gibt.

Wir Christinnen und Christen verstehen Jesu Geburt als Kommen Gottes in die Welt. Gott kommt in die Welt als wehrloses und machtloses Kind. Gott setzt damit einen neuen Anfang und beginnt einen neuen Weg mit uns Menschen. Einen Weg, der in seinem Sohn, der in unserem Bruder Jesus Christus die Liebe Gottes mitten unter uns Menschen spürbar macht.

Jesus bleibt auf seinem irdischen Weg den Menschen zugewandt. Er tröstet Traurige, heilt Kranke, gibt Hungrigen zu essen. Er wendet sich Außenseitern zu, er überschreitet Grenzen und holt die Kinder in die Mitte. Jesu irdischer Weg ist ein konsequenter Weg der Liebe. Konsequent geht Jesus seinen Weg der radikalen Gottes- und Menschenliebe, und er nimmt dabei in Kauf, verraten, verspottet und hingerichtet zu werden.

Die christliche Tradition hat diese Konsequenz Jesu, dieses Sich-Selbst-Treu-Bleiben, als stellvertretende Übernahme der Sünde der Welt gedeutet. „Christus ist für unsere Sünden gestorben“, so lautet die traditionelle theologische Formulierung.

Aber eröffnet uns Jesu radikales Vorbild nicht viel eher einen Weg, die Sünder selig zu machen? Verlockt uns Jesu Vorbild nicht viel mehr dazu, das, was uns voneinander trennt, das, was zwischen uns steht, zu überwinden und zu einer tieferen Gemeinschaft zu gelangen?

Sie kennen vielleicht das Märchen:
Einem Mann wurde verkündet, dass am Weihnachtsabend Gott zu ihm auf Besuch kommen würde. Er freute sich sehr, putzte und schrubbte, brachte die Stube auf Hochglanz und bereitete allerlei hübsche Dinge vor. Als Festtagsbraten suchte er seine fetteste Gans aus und briet sie mit köstlichen Kräutern.

Der Weihnachtsabend war bitterkalt. Es wehte ein heftiger Wind und der Schnee peitschte an seine Fenster.
Der Mann wartete geduldig, und wirklich, bald klopfte es an seiner Tür. Doch als er sie öffnete, stand nicht Gott, sondern ein Wandersbursch auf Herbergssuche vor ihm. „Gibst du mir heute Nacht Quartier?“, fragte der Bursche. „Draußen ist es bitterkalt.“ „Nein“, gab der Mann zurück, „ich erwarte hohen Besuch“, und schickte ihn weiter.

Eine Stunde verging, da klopfte es erneut an der Tür. Draußen stand ein altes Weiblein und bat um Almosen. „Scher dich weg“, sagte der Mann. „Heute habe ich nichts zu verschenken. Ich warte auf einen, der es mehr verdient beschenkt zu werden als du.“

Dem Mann wurde das Warten lang. Als abermals eine Stunde um war, klopfte es zum dritten Mal an die Tür. Doch auch die junge Frau mit dem Kind schickte er weiter. Nun war die Ungeduld groß. Doch solange er auch wartete, es klopfte nicht wieder.

In der Morgenstunde wandte sich der Mann vorwurfsvoll an Gott: „Du hast mich jämmerlich sitzen lassen!“ „Drei mal habe ich an deine Türe geklopft“, antwortete Gott. „Drei mal hast du mich fortgeschickt.“

Es reicht also nicht zu bekennen „Gott ist heilig“ oder „Christus ist unser Retter“. Es gilt vielmehr, im Nächsten das Kind Gottes, im Nächsten unseren Bruder Christus zu erkennen. Kann uns Weihnachten, kann uns das Kind in der Krippe dabei helfen?

Das Weihnachtsevangelium ist geprägt von dem Satz „Fürchte dich nicht!“ Josef wird vom Engel aufgefordert, das erwartete Kind als Geschenk Gottes anzunehmen. Die Hirten werden vom Engel aufgefordert, das Kind in der Krippe als Heiland, als Retter anzunehmen. Ein wehrloses, machtloses Kind als Trost, als Zeichen der Hoffnung – gab es das schon?

Erinnern wir uns an die Weissagung des Jesaja, die von der christlichen Tradition auf Jesus bezogen wurde:
„Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.“ Auch die Israeliten – das Volk Gottes, das Volk Jesu – setzten 700 Jahre vor Jesu Geburt ihre Hoffnung auf ein Kind.

Mit einem Kind ist ein neuer Anfang gesetzt, mit einem Kind beginnt ein neuer, hoffnungsvoller Weg. Ein Kind bedeutet Hoffnung, Freude, Zuversicht. „Fürchte dich nicht!“, sagte der Engel.

Was uns das Kind in der Krippe lehren kann, ist unsere eigene Wehrlosigkeit, unsere eigene Machtlosigkeit zu erkennen und anzunehmen. Was uns das Jesuskind in der Krippe, was uns Weihnachten lehren können, ist, dass wir angesichts unserer eigenen Wehrlosigkeit, dass wir angesichts unserer eigenen Machtlosigkeit lernen, uns füreinander zu öffnen und einander zu Vertrauen. Aus diesem Vertrauen, aus diesem Glauben erwächst uns Trost, erwächst uns wahre Glaubenskraft.

Wir Christinnen und Christen verstehen Jesu Geburt als Kommen Gottes in die Welt. Gott kommt in die Welt als wehrloses und machtloses Kind. Gott setzt damit einen neuen Anfang und beginnt einen neuen Weg mit uns Menschen. Einen Weg, der in seinem Sohn, der in unserem Bruder Jesus Christus die Liebe Gottes mitten unter uns Menschen spürbar macht.

Die Geschichte dieser Liebe geht weiter. Jedes Jahr zu Weihnachten. Jedes Mal, wenn ein Kind geboren wird. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, in der ein Mensch sich dem anderen zuwendet, in der eine der anderen beisteht, in der einer die Wehrlosigkeit und die Machtlosigkeit des anderen als Wunder und als Geschenk empfängt.

Amen.

Published inPredigten

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert